Die Merz-Rente – ein Faktencheck

Es gibt eine einfache Faustformel zur Beurteilung eines wirtschaftspolitischen
Vorschlages in Deutschland: Alles, was auf breiter Front abgelehnt wird, muss gut sein
– und umgekehrt. Demnach ist der Vorschlag von Friedrich Merz, eine aktienbasierte
Altersvorsorge mit Steuervorteilen aufzubauen, erstklassig. Denn ablehnende Stimmen
kommen nicht nur von politischen Gegnern, sondern auch von Wissenschaftlern und
sogar von Parteifreunden.

Also könnte es sich lohnen, etwas ganz Ungewöhnliches zu tun: Auf die Fakten zu
schauen. Ein Durchschnittsverdiener mit € 35.000 Jahresgehalt hat einen
Arbeitnehmer- und einen Arbeitgeberanteil von € 6.545 in die Rentenversicherung
eingezahlt. Wenn er 45 Jahre lang diesen Betrag (unter der Annahme einer jährlichen
Gehaltssteigerung von 2,4 %) in einem praktisch kostenfreien, vom Staat verwalteten
weltweit anlegenden Aktienfonds – wie etwa in den schwedischen AP7-Fonds – hätte
anlegen dürfen, würden daraus rund € 2.200.000, wenn man konservative 6 %
Gesamtertrag (Dividenden + Kursgewinne) pro Jahr unterstellt. Diese Zahl liegt deutlich
unter den Werten, die die Aktienmärkte in den letzten 120 Jahren inklusive zweier
Weltkriege und diverser Deflationen, Depressionen und Inflationen erwirtschaftet haben.

Selbst wenn nur € 50,- monatlich zur Verfügung stehen, könnte die vermutlich ab dem
Jahr 2060 ziemlich magere staatliche Rente mit immerhin mehr als € 200.000
aufgebessert werden, sodass ein Widerspruch abgebügelt werden kann, der da lautet:
„Statt Steuersubventionen für Aktiendeals von wenigen müssen wir die gesetzliche
Rente stärken,“ wie es der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider sagte.
Aktiendeals für wenige?

Es drängt sich die Vermutung auf, dass Friedrich Merz nicht der einzige Bundesbürger
ist, der unter erträglichen Entbehrungen € 50 monatlich sparen könnte. Auch die
gelegentlich in Berechnungen genannten € 150 dürften für einen erheblichen Anteil der
Bevölkerung erreichbar sein. Zudem geht es hier nicht um Aktiendeals, sondern um die
Geldanlage in einem Fonds, der weltweit in Aktien investiert und die Einzelposten oft
jahrzehntelang hält, wie es auch der keineswegs spekulative norwegische Staatsfonds
macht. In die gleiche Kerbe haut der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner
(„Steuerpolitik für Alterssicherung de luxe“). Dabei beeindruckt, mit welch absurden
Argumenten manche Politiker verhindern wollen, dass ihre Kernklientel wenigstens die
Chance auf einen bescheidenen Wohlstand erhält.

Die Aussage von Carsten Schneider bietet eine gute Gelegenheit, auf zwei weitere
Grundelemente einer nachhaltigen Altersvorsorge hinzuweisen:

1. Die staatliche Rente ist nicht demografiefest. Sie hängt in erheblichem Maße von
der Entwicklung der Anzahl der Beitragszahler in die Rentenversicherung in
Deutschland ab. Dass es damit nicht zum Besten bestellt ist, ist auch natürlich
auch vielen Politikern bekannt, die diesen Tatbestand aber bei ihrer
verantwortungslosen Rentenpolitik mit beeindruckender Konsequenz ignorieren,
sodass eine ergänzende Form der Altersvorsorge mit jeder „Stärkung“ der
umlagefinanzierten staatlichen Rente umso notwendiger wird.

2. Die massive steuerliche und regulatorische Begünstigung von Staatsanleihen
(statt „Aktiendeals“) in den meisten Formen der kapitalgedeckten Altersvorsorge
ist keine Lösung, da die Renditen absurd niedrig sind, obwohl die
Staatsverschuldung in etlichen Ländern auf ein kaum noch beherrschbares
Niveau gestiegen und damit die Bonität massiv gesunken ist. Zudem wird die
Altersvorsorge damit extrem abhängig von der Bonität eines einzigen Staates
oder Währungsraums wie der Eurozone, die wiederum auch von der Demografie
abhängig ist. Kapitaldeckung funktionierte mit der von Politikern bevorzugten
Anlageform Staatsanleihe in den letzten 30 Jahren ausnahmsweise gut, aber
weder davor noch in der Zukunft ist eine auskömmliche Rendite und hohe
Sicherheit gegeben.

Ein weltweit anlegender Aktienfonds ohne Kosten löst diese beiden Probleme souverän.
Die deutsche Bevölkerung, die rund 1 % der Weltbevölkerung beträgt, und deren
Wachstum oder Schrumpfung wird völlig irrelevant, denn es geht um die Entwicklung
der Weltwirtschaft und der weltweiten Unternehmen in den nächsten Jahrzehnten.
Nicht nur die Sicherheit, sondern auch die Renditen waren und sind bei langfristigen
Aktienanlagen wesentlich besser als bei Anlagen in festverzinslichen Wertpapieren: In
den unruhigen Jahrzehnten von 1900 bis 1945 mit zwei Weltkriegen, einer Großen
Depression diversen Währungszusammenbrüchen, davon allein zwei in Deutschland,
entstand eine enorme Staatsverschuldung, die allerdings inzwischen in vielen Ländern
wieder erreicht oder sogar übertroffen wird. Die damalige Staatsverschuldung konnte
nach dem 2. Weltkrieg durch extrem niedrige Zinsen und Staatsanleihen begünstigende
Anlagevorschriften sowie eine 20 Jahre lang boomende Weltwirtschaft bei steigender
Bevölkerungszahl bis 1980 weitgehend abgebaut werden. In diesen 80 Jahren
erbrachten Staatsanleihen weltweit eine Rendite von 0 % nach Abzug der jährlichen
Inflation, Aktien dagegen von 4,7 % p.a. Aktien haben sich also schon einmal in
unruhigen Zeiten als ausgesprochen krisenfest erwiesen. Angesichts der zahlreichen
wirtschaftlichen und politischen Probleme werden sie in den nächsten Jahrzehnten eine
weitere Gelegenheit bekommen, ihre Überlegenheit bei der langfristigen Kapitalanlage
zu beweisen.

Die Einwände der Wissenschaftler

Der Einwand mehrerer Wissenschaftler, es gäbe keinen Grund, bestimmte
Anlageformen zu begünstigen ist sachlich falsch, da Aktien historisch Renten in allen
30-Jahres-Zeiträumen seit dem Jahr 1900 (mit Ausnahme des Zeitraums 1985 bis
2015, als die Zinsen in Richtung null Prozent sanken) immer um durchschnittlich mehr
als 4% p.a. übertroffen haben. Nach Zeiten hoher Staatsverschuldung, also nach 1945,
lag der 30-Jahres-Renditevorsprung von Aktien gegenüber Renten sogar bei 7 % p.a.

Auch die aktuellen Bewertungen von Renten (in allen Industrieländern völlig überteuert
und bonitätsschwach) und Aktien (in den meisten Industrie- und Schwellenländern
normal bewertet) spricht mit hoher Signifikanz für deutliche Überrenditen von Aktien
gegenüber Renten in den nächsten Jahrzehnten. Und das Beste ist, dass sich der
Besitzer von Anteilen eines weltweiten Aktienfonds nicht einmal mehr Gedanken
darüber machen muss, ob der Euro überlebt. Langfristig sind Währungskrisen für
Aktienanlagen irrelevant, für Rentenanlagen dagegen oft katastrophal.

Andere Experten fordern, die bestehenden Systeme zu überarbeiten. Ließen wir diese
Überarbeitung von schwedischen Politikern durchführen, wäre ich damit einverstanden.
Deren Erkenntnisse bei der Einführung der kapitalgedeckten Altersvorsorge waren
erstens: Die von der Fondsindustrie angebotenen Anlageprodukte müssen besonders
kostengünstig sein, was in Deutschland nicht der Fall ist, weswegen Riester-Sparen
allmählich ausstirbt. Zweitens kamen die Schweden auf die Idee, für alle Anleger, die
sich weder für eine Anlageform noch für einen Anbieter entscheiden können, einen
kostengünstigen Staatsfonds anzubieten. Nachdem sich die zuständigen Beamten
sachkundig gemacht hatten, war ihnen klar, dass der Fonds weitgehend (zu ca. 90%)
auf internationale Aktien setzen muss, um gute Erträge zu erzielen. Doch da unsere
Politiker schon an diesen beiden offensichtlichen Punkten – günstige Kosten und
Schwerpunktanlage Aktien – scheitern, fürchte ich, wird das nichts mit der
Nachbesserung. Der schwedische AP7-Fonds ist anders als Riester jedenfalls für die
schwedischen Sparer ein großer Erfolg mit hohen Renditen.

Der Einwand von Wissenschaftlern und Politikern, keine speziellen Steuervorteile für
eine aktienbasierte Altersvorsorge zu gewähren, scheint zunächst nachvollziehbar.
Wenn man jedoch die Tatsache bedenkt, dass die in den nächsten Jahrzehnten
absehbaren Rentenkürzungen nur noch mit hochrentierlichen kapitalgedeckten
Modellen noch abgefangen werden können, aber speziell die deutschen Sparer eine
besondere Furcht vor Aktien haben, die als einzige Anlageform langfristig die nötige
Rendite und Sicherheit erwirtschaften werden, man muss der Staat mit hohem
Nachdruck seine bisherigen Versäumnisse nach schwedischem Vorbild
wiedergutmachen. Das bedeutet:

1. Besondere Steuervorteile bis zu einem zu definierenden Höchstbetrag (z.B. €
1.000 pro Monat und Sparer) für einen massiv aktienlastigen Fonds. Ein
bayerischer Finanzminister sagte einmal, in Deutschland sei der
Steuersparantrieb größer als der Fortpflanzungstrieb. Also kann man mit
Steueranreizen die Folgen der zu geringen Fortpflanzung bekämpfen.

2. Praktisch Kostenfreiheit zur weiteren Steigerung der Rendite, indem der Staat die
Verwaltung übernimmt oder einen oder mehrere renommierte Anbieter der
Finanzindustrie bittet, das Produkt kostenfrei anzubieten. Das könnte manch
einem Anbieter durchaus als attraktive Möglichkeit erscheinen, seinen Ruf
aufzubessern. In diesem Punkt könnte Friedrich Merz seinen Vorschlag
konkretisieren und auch den letzten Einwand entkräften, er fordere „quasi
Steuervorteile für seine Firma“ (SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach).

Insgesamt wäre es wünschenswert, dass die Politik endlich beginnt, mit Blick auf den
allgemeinen Wohlstand und die politische Stabilität in unserem Land alle Vorschläge zur
Verbesserung der Altersvorsorge der Bevölkerung sachlich zu prüfen, was erkennbar im
Falle des Aktien-Altersvorsorgefonds von Friedrich Merz nicht gemacht wurde.

Kolumne von Reinhard Panse,
CIO von HQ Trust in Finanzwelt 06/12/2018

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